TOAST; TABASCO; LIPPENBEKENNTNISSE & CO

Zuerst hörst du es nur:
bruzzeln,
feines knistern,
wenn die Scheiben, die weichen, auf der teflonbeschichteten Platte des Toasters anfangen Farbe zu bekennen.
Zuerst, ohne zu wissen, was dich erwartet,
ohne im geringsten zu ahnen was passieren wird,
riechst du das Knusprigwerden vom Toastbrot und wie die Ränder des Schinkens anfangen sich mit dem Toaster zu verkleben.
Du stellst dir vor, wie der Käse jetzt zu schmelzen beginnt,
zischendes Geräusch.
FERTIG
Die Kellnerin geht mit klappernden Schritten zum Toaster, leicht hektisch, richtet an.
Deine Gedanken sind bei deiner letzten Liebe,
die dir die Kraft geraubt hat,
die Kraft zu riechen,
die Kraft zu atmen,
die Kraft zu spüren.
Du drehst deinen Kopf zur Seite und siehst ihn,
beachtest ihn zuerst kaum.
Dir fällt nur sein Nacken auf:
der mit den kurzen Haaren, rot von der Sonne.
Kein schöner Nacken, eher fleischig, mit ein paar Falten, weil die Haut viel zu grob ist um sich fein um die Nackenwirbel zu spannen.
Du denkst "wie schmutzig der ist", mit seinem (ehemals) weissen T-Shirt, mit den Schmierflecken.
Seine Jeans sehen aus als ob mindestens 10 LKW´s drübergefahren wären.
Seine Schenkel spannen sich unter diesen Jeans, als er den Fuss auf auf die silberne Fussstange der Theke stellt.
Du drehst den Kopf wieder weg, aber nur soweit, daß du ihn noch aus den Augenwinkeln sehen kannst.
Leichte Verachtung macht sich in dir breit: "so dreckig, der Kerl!"
Dein Toast steht bereits vor dir, du bist hungrig und fängst an zu riechen, den feinen Geruch, der sich langsam mit dem Geruch von Asphalt, Motoröl, Staub, Straßendreck mischt. Leicht feinherber Schweissgeruch mischt sich dazu.
Du wunderst dich, dass du dich nicht ekelst vor dieser etwas eigenartigen Geruchsmischung: TOASTBROT; SCHINKEN; KÄSE; KETCHUP; MAYONNAISE; ASPHALT; MOTORÖL; DRECK; SCHWEISS.
Im Gegenteil: dir gefällt diese Mischung.
So ein Dreckskerl.
Du kennst ihn nicht gut, nur so vom "Hörensagen" und von den paar oberflächlichen Worten, die man wechselt, wenn man nicht weiter auf einen Menschen eingehen will.
Du streckst die Hand aus und beginnst mit einer Toastecke das Ketchup mit Mayonnaise zu vermischen, bis ein marmorartiges Muster entsteht.
Ja, Tabasco auch dazu.
Mischen.
Bevor du zubeisst, siehst du nochmal auf seinen Nacken und entdeckst die Ränder in den Falten, die vorher Schweissperlen gewesein sein müssten und sich nun mit dem Dreck verbunden haben.
Wieder dieser Geruch!
Als du dir nochmals denkst, daß es eigentlich eine Schande sei, so dreckig in eine Bar zu gehen, dreht er sich zu dir um.
Er grüßt, mit leicht belegter Stimme, als ob er auch all den Schmutz geschluckt hätte.
Du schaust in wasserblaue Augen, die ziemlich gerötet, von wahrscheinlich viel zu vielen exzessiven Nächten, auf deinem Mund hängenbleiben.
Ohne ein Wort zu sagen, entschliesst ihr euch den Toast zu teilen, alles der Einfachheit, der Natürlichkeit wegen oder auch der Kompliziertheit oder Unnatürlichkeit halber.
Ja, nochmal Tabasco dazu.
Du beisst als erstes zu, spürst das Brot zwischen deinen Zähnen, bevor du was anderes schmecken kannst, dehnt sich die Schärfe des Tabascos in deinem Mund aus.
Während du probierst den beissend scharfen Geschmack zu überwinden, siehst du ihm zu, wie er mit groben, riesigen Fingern, die Nägel bis zum untersten Rand mit Drecköl oder Öldreck eingefärbt, zugreift und mit weit offenem Mund zubeisst, nicht ohne vorher kräftig in die Sauce zu tunken.
Ein Teil der Sauce rinnt über seinen dreckigen Mittelfinger. Er kaut bedächtig und langsam, vielleicht um die Schärfe zu geniessen.
Ihr redet, belangloses.
Du schaust auf seine Lippen, die leicht angeschwollen sind. Ein paar Hautfetzen hängen lose von der leicht vorgeschobenen Unterlippe. Die Mundwinkel sind eingetrocknet und leicht wund.
Du siehst diese Lippen und kannst nicht anders als zu denken, wie es wohl wäre ihn zu küssen.
Bevor du deine Gedanken fertig gedacht hast, spürst du seine Lippen auf deinen.
Ohne zu wissen warum, wieso.
Ohne einen günstigen Zeitpunkt.
Einfach so, ohne nachzudenken: "sollen wir"?
Einfach passiert.
Eure Lippen treffen sich mit der Präzision einer Schweizer Markenuhr.
Du spürst seine Lippen auf deinen, diese rauen Lippen, die unter deinen weicher werden und sich über deine Lippen zu stülpen beginnen, leicht saugend, tief erlebend, küssend.
In diesem Moment spürst du nur die Lippen, seine Lippen, ohne ringsum auch nur eine Kleinigkeit wahrzunehmen.
Du lässt dich in das Lippen-auf-Lippen-Spiel fallen, spürst nur die Schönheit des Kusses, die wie ein Wasserlauf anfängt sich auf deinen Körper auszudehnen, fliessend.
Du schreckst zurück, es wird dir bewusst, was geschehen ist.
Nimmst nochmal einen tiefen Atemzug um den Asphalt-Öl-Schweissgeruch einzuatmen und wiederholst die Annäherung an seine Lippen.
Perfekte Vereinigung 2er Seelen, Gefühlsebenen, Körper, Lippen. Diesmal mit festgeschlossenen Augen, tauchst du nochmals ein in diese Lippenwelt.
Du legst die Hände in seinen dreckigen Nacken, den du vorher so verächtlich angesehen hast, damit du dich näher an ihn drängen kannst.
Du spürst jetzt auch diese groben Nackenfalten unter deinen Fingern. Während du seine Zunge, die nach Toast, Tabasco und Bier schmeckt in deiner Mundhöhle spürst,
wird dir klar,
daß du jetzt eine "eigene" Welt der Lippen hast.
Er hat sie natürlich auch: ER WEISS ES NUR NICHT!
ER WEISS ES NUR NICHT!
ER WEISS ES NUR NICHT!
ER WEISS ES NUR NICHT!

Tanja Salbrechter